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8.2 Ehemalige Oficinas Salitreras „Humberstone“ und „Santa Laura“: Geschichte des Nitratabbaus und soziale Bedingungen

Etwa 50 km östlich von Iquique, nahe der Einmündung der Ruta A-16 auf die Panamericana, befinden sich die Oficinas Salitreras „Humberstone“ und „Santa Laura“, zwei ehemalige salpeterproduzierende Tagebaue (Abb. 8.2.1). Beide sind sehr gut ausgeschildert und touristisch ausgezeichnet erschlossen.

 

Abbildung 8.2.1

Abb. 8.2.1: Anfahrtsskizze zu den Oficinas Humberstone und Santa Laura.

 

Ein Großteil der weltweiten Nitratvorkommen befindet sich in Chile, so dass der chilenische Weltmarktanteil an Salpeter (2004) etwa 60 % erreichte (Behn, 2006). Die Vorkommen sind vor allem im Längstal der Atacama-Wüste in den Regionen Tarapaca und Antofagasta in einem etwa 700 km langen und bis zu 100 km breiten Streifen konzentriert (Chong, 1984). Obwohl Nitratvorkommen in dieser Region bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert durch die Berichte von Forschungsreisenden bekannt waren (z.B. Thaddäus Hänke; siehe Gicklhorn, 1939), wurde der Salpeter erst 1830 mit der Entdeckung des Nitrats als Düngemittel zum Exportprodukt, vor allem bestimmt für die ausgelaugten Agrarflächen Europas und für industrielle und militärische Nutzung als Sprengstoffbestandteil. 1853 begann der großindustriell und finanziell massiv unterstützte Abbau des Nitrats mit für damalige Zeiten hochtechnologischer Infrastruktur. Nach demGuerra del Pacifico(1879-1884), welcher die Atacama und damit auch die Salpetervorkommen Chile zuteilte, erlebte die Salpeterindustrie ihre Blütezeit (Frazier, 2007). Ab 1914, nach der Entdeckung und industriellen Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens zur chemischen Synthese von Ammoniak aus der Luft, verlor der Chilesalpeter jedoch schnell an Konkurrenzfähigkeit und wirtschaftlicher Bedeutung. Mit der Wirtschaftskrise 1929 stellten die meisten Oficinas ihren Betrieb ein. Nur wenige hocheffiziente und mechanisierte Betriebe, wie die Oficinas Humberstone und Santa Laura, konnten die Produktion bis Anfang der sechziger Jahre fortführen. Derzeit wird Nitrat in zwei mechanisierten Betrieben (Maria Elena und Pedro de Valdivia) Nitrat abgebaut.

Es gibt drei verschiedene Typen von Nitratlagerstätten in Nordchile: Alluviale / fluviatile Lagerstätten, Gänge in Festgesteinen und Krusten (Chong, 1984; Pueyo et al., 1998). Die größte Bedeutung für die Salpeterindustrie hatten die alluvial / fluviatilen Anreicherungen. Erstere liegen als Zement im Porenraum von Siliziklastika vor und kommen im Längstal in alluvialen Fächern und auf den oberen Hängen und Kuppen von Hügeln, meist unter 2000 m Höhe, vor (Prellwitz, 2007).

Die Herkunft des Nitrats ist bis heute nicht abschließend geklärt. Die Anreicherung kann einerseits durch hydrothermale Laugung leicht löslicher Nitrat-Ionen aus magmatischen Gesteinen und dem anschließenden Transport durch Grundwasser in eine hydrologische Senke entstanden sein oder das Produkt von mikrobieller Stickstoffoxidation in ausgedehnten Salaren repräsentieren. Auch Umverteilung von nitratführenden Evaporiten aus der Hochkordillere durch Grundwasser und die äolische Herbeiführung und Verteilung von nitratangereicherten Aerosolen aus dem Pazifik wurden diskutiert. Aktuelle Forschungen legen Nitrate vorwiegend als Produkte stratosphärischer photochemischer Reaktionen aus. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass ein einzelner Prozess die hohen Nitratanreicherungen nicht hinreichend erklärt, und dass die nordchilenischen Vorkommen polygenetischen Ursprungs sind (Prellwitz, 2007). Das klimageschichtlich „alte“ hyperaride Klima in der Atacama bildet wohl den entscheidenden Faktor für die Erhaltung der Vorkommen, weil es den Abtransport von Nitraten in Lösung weitgehend verhindert hat.

Die alluvialen Lagerstätten besitzen eine typische Schichtenabfolge von Chuca, Costra, Caliche, Coba und Conjelo (Abb. 8.2.2), wobei nicht immer alle Einheiten ausgebildet sein müssen (Chong, 1984). Die zuoberst liegenden Anhydritknollen der Losa sind die Überreste einer ehemals durchgängigen Anhydrit-Deckschicht. Die Chuca ist etwa 10-30 cm mächtig und besteht vorwiegend aus Sand, Silt und Ton sowie wenig Gips und Anhydrit. Die Costra besteht aus zementiertem klastischem Material (Sandsteine, Konglomerate, Brekzien) und kann bis zu 2 m mächtig werden. Der Übergang zur darunterliegenden Caliche, in der sich das abbauwürdige Nitrat befindet, ist graduell (Chong, 1984).Caliche kann bis zu fünf Meter mächtig werden und Nitratgehalte zwischen 5 und 15 % erreichen. Ab einer Mächtigkeit von 0,8 m und einer Nitratkonzentration von > 7% ist der Abbau in der Regel wirtschaftlich (Chong, 1984). Neben dem Nitrat enthalten viele Lagerstätten auch Sulfate, Iodide, Chromate und Borate (Prellwitz, 2007). Die flachen, aber ausgedehnten Tagebaue hinterließen zahlreiche Halden (Tortas) und Grubenfelder und prägen vielerorts die Landschaft des Längstals

 

Abbildung 8.2.2

Abb. 8.2.2: Typische Schichtenfolge alluvialer Nitratlagerstätten. Abbildung bearbeitet nach Chong, 1984.

 

8.2.1 Oficina Humberstone

Nachdem 1862 in der Region der Caliche-Abbau begonnen hatte, wurde die Oficina Salitrera Humberstone 1872 gegründet. Nach dem Salpeterkrieg (1879-1884), mehreren Eigentümerwechseln und einer Teilmodernisierung um 1894 war die Oficina zu einer der größten Salpeterbetriebe der Region gewachsen. Aufgrund der Nitratkrise wurde die Produktion 1932 eingestellt, 1934 nach einer umfassenden Modernisierung wiederaufgenommen und 1960 endgültig geschlossen. Seit 1971 besitzt Humberstone den Status eines Nationalen Denkmals und ist seit 2005 UNESCO Weltkulturerbe (Abb. 8.2.1.1) (www.albumdesierto.cl).

 

Abbildung 8.2.1.1

Abb. 8.2.1.1: Der Eingang des nationalen Monuments Oficina Humberstone. Blick nach Norden. Foto: C.V. Ullmann

 

Ab 1853 wurde, anstatt traditionell denCalichedirekt zu sieden, ein effizienteres Verfahren mit Dampfmaschinen zur Trennung des Nitrats vom Gestein in den Salitreras eingeführt. 1870 wurde in Humberstone wiederum ein verbessertes Verfahren angewandt, welches auf dem Shanks-System basierte. Dafür wird Wasserdampf nur indirekt genutzt: Caliche und Wasser werden in große, mit Rohrleitungen versehene Kessel gefüllt; Wasserdampf in diesen Leitungen erhitzt die Lauge des Kesselinhalts.

Die verbleibenden Anlagen der Salitrera Humberstone zeigen nicht die typischen Lebens- und Arbeitsbedingungen, wie sie in den meisten Salitreras herrschten. Mit der vollständigen Erneuerung 1934 wurde hier ein vergleichsweise moderner Betrieb mit fortschrittlichen, für die damalige Zeit fast schon luxuriösen Einrichtungen geschaffen. Vor allem Angebote wie ein Kino, ein Schwimmbad oder eine Schule existierten in vielen anderen Salitreras nicht. Dass diese Einrichtungen auch normalen Arbeitern offen standen, war undenkbar. Dennoch fällt auch in Humberstone auf, in welch ärmlichen Verhältnissen die Arbeiter und ihre Familien lebten. Die Wohnbereiche der Arbeiter befinden sich - etwas abseits der großzügigen Häuser an den Hauptstraßen - am Ostrand des Geländes. In langen, schmalen Baracken bewohnten alleinstehende Arbeiter je ein 13,5 m2großes Zimmer. Die sanitären Anlagen, den Duschraum und die Waschküche teilten sich jeweils 72 Personen. Der Eingang zu den Häusern wurde bewacht, Frauen und Kinder hatten keinen Zugang (Informationstafel in der Gedenkstätte Humberstone). Im Wohnviertel für Familien waren die Verhältnisse ähnlich. Die Wohneinheiten umfassten dort zwei Zimmer (13,5 m2) und einen winzigen Hof. Hier teilten sich jeweils 16 Einheiten zwei Duschen oder Toiletten.

 

Abbildung 8.2.1.2

Abb. 8.2.1.2: Überblick über die Oficina von den Abbauhalden aus Richtung Südosten. Foto: C.V. Ullmann

 

8.2.2 Oficina Santa Laura

Abbildung 8.2.2.1

Abb. 8.2.2.1: Überblick über die Reste der Oficina Santa Laura. Blick nach Süden. Foto: C.V. Ullmann

 

Die nur 2 km südwestlich von Humberstone gelegene Oficina Santa Laura war ein kleinerer Betrieb, was an der Größe des Abbaufeldes erkennbar ist. Sie wurde (zwei Jahre vor Humberstone) 1870 in Betrieb genommen, aber aufgrund zu niedriger Förderraten von Nitrat und Jodiden, schwankenden Weltmarktpreisen und ausbleibenden Investitionen mehrmals über Jahre hinweg geschlossen, bis 1961 die Produktion endgültig eingestellt wurde. Neben einem Museum mit Gebrauchsgegenständen sind von der Oficina die beeindruckenden mehrstöckigen Überreste der umfangreichen Verarbeitungsanlagen erhalten (Abb. 8.2.2.1 und Abb. 8.2.2.2).

Abbildung 8.2.2.2

Abb. 8.2.2.2: Salz umkrustete Eichenbalken von Oficina Santa Laura im Detail. Foto: C.V. Ullmann

 

 

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