Springe direkt zu Inhalt

Südöstlich vom Pickering Krater – komplexe Geschichte auf einen Schlag

Die HRSC-Aufnahmen vom 5. April 2022 (Orbit 23067) erzählen eine komplexe geologische Geschichte und zeigen eine große Vielfalt an Oberflächenstrukturen die auf mehrere Prozesse zurückzuführen sind.

In den gezeigten Bildern dominiert ein namenloser Krater von etwa 70 Kilometern Durchmesser die Szenerie. Links unten beziehungsweise südöstlich des Kraters ist ein Tal mit einer Breite von bis zu 1,8 Kilometern zu erkennen, das sich durch die Landschaft windet. In dem Tal könnte Schmelzwasser aus dem umgebenden Hochland in die Vertiefung unterhalb des Kraterbeckens (am unteren Bildrand) geflossen sein. Nur zehn Kilometer nördlich des Tals verläuft annähernd parallel dazu eine Bruchstruktur, die auch den Südrand des Beckens durchschneidet. Solche großen, kanalartigen Brüche werden als tektonische Gräben bezeichnet. Sie entstehen in Regionen mit Dehnungstektonik, in denen das Grundgestein durch Spannungen in der spröden Kruste auseinandergezogen wird, entlang einer Schwächezone bricht, und ein Gesteinsblock zwischen den beiden Bruchlinien in die Tiefe sackt. Diese typischen Merkmale für tektonische Gräben finden sich an vielen Stellen auf dem Mars, wie zum Beispiel an den südöstlich gelegenen Gräben von Icaria Fossae.

Typische Oberflächenstrukturen für Eisströme

Der große, bildfüllende und aufgrund seiner Erosionsspuren sehr alte Einschlagskrater in der Bildmitte weist in seinem Zentrum eine teilweise dunkel getönte Region auf. Die dunkle Färbung wird hier von einer dünnen Schicht aus vulkanischen Sanden verursacht, die Winde in den Krater getragen und abgelagert haben. Der Kraterboden ist sehr flach und längst nicht mehr schüsselförmig, wie es kurz nach seiner Entstehung durch den Einschlag eines fünf bis zehn Kilometer großen Asteroiden typisch ist. Diese Verfüllung ist ein weiteres Indiz für das hohe Alter des Kraters. Im unteren (östlichen) Kraterboden sind interessante Landschaftsformen zu sehen, die auf Winderosion zurückgehen. Hier finden sich zahlreiche kleine, vom Wind aus dem Gestein modellierte Hügel sowie einige langestreckte Rücken, die alle in die gleiche Richtung weisen. Letztere werden Jardangs genannt. Der auf dem Mars bisweilen sehr stark und über lange Zeiträume in eine Richtung wehende Wind schmirgelt durch mitgeführte Staub- und Sandpartikel „Windgassen“ in das Gestein, die die dominierende Windrichtung anzeigen. Die lange, dünne, quer verlaufende Struktur ist höchstwahrscheinlich ein mit erosionsresistentem Material verfülltes, ehemaliges Tal.

Ein kleinerer Einschlagskrater mit einem Durchmesser von knapp 20 Kilometern befindet sich im nördlichen (rechten) Teil des großen Kraters. Innerhalb des Kraters sind mit Linien durchzogene Ablagerungen zu sehen. Diese stellen Überreste ehemaliger Gletscher dar, die die Kraterhänge hinabgeflossen sind und sich in seiner Mitte trafen. Sie werden in der beschrifteten Draufsicht als „Lobate Crater Fill“ (gewundene Kraterfüllung) bezeichnet. Auch in unmittelbarer Nähe im Norden wie auch in kleinen benachbarten Kratern ist die Oberfläche eben und „glatt“, was Gletschern auf der Erde ähnelt, deren Eisstrom von Gesteinsschutt bedeckt ist. In der Glaziologie werden solche Eisströme als Blockgletscher bezeichnet. Diese Strömungsstrukturen entstehen, wenn ein Gemisch aus Schutt und Eis von einem Gletscher bergab fließt und der Schutt dann die Bewegungen des Eisstroms nachzeichnet, der unter der Gesteinslast und dem Druck des eigenen Gewichts plastische Eigenschaften annimmt. Die beschriebenen Fließstrukturen sind gut in der perspektivischen Ansicht des Kraters zu sehen.

Ein ganz anderes Erscheinungsbild zeigt ein alter Einschlagskrater weiter nördlich, der im Übersichtsbild als „lava filled crater“ bezeichnet ist. Hier deutet die Oberfläche eher auf eine Füllung mit dünnflüssiger Lava hin, die in die schüsselförmige Kraterstruktur geflossen ist. Das Oberflächenmuster unterscheidet sich von den für polare Landschaften typischen „periglazialen“ Merkmalen, also Prozessen und Landformen, die mit kalten, aber nicht von Eis bedeckten Regionen verbunden sind. Nördlich angrenzend findet sich ein großes Netz stark erodierter, baumartig verzweigter Täler. Solche „dendritischen“ Talmuster entstehen auf der Erde typischerweise durch den Abfluss von Niederschlagswasser auf der Oberfläche. So kann angenommen werden, dass sich diese Täler relativ früh in der Marsgeschichte durch atmosphärischen Niederschlag (wahrscheinlich eher Schnee als Regen) gebildet haben.

Schließlich befindet sich rechts unten, also im Nordosten der Draufsichten, ein großes Lavafeld. Hier sind sogenannte Runzelrücken („wrinkle ridges“) zu finden. Diese entstehen, wenn zum Beispiel durch tektonische Kräfte geschichtetes Oberflächenmaterial (hier ist es eine noch weiche und elastische Lavaschicht) zusammengedrückt wird und sich dadurch seine Oberfläche verkleinert. Diese Rücken sind sehr typisch für Lavaablagerungen auf dem Mars und auch dem Mond. Die steilere Seite der mehrere Dutzend Meter hohen Runzelrücken markiert deren Vorderseite: Dort wölbte sich das Material nach oben und über die „überfahrene“ Lavaschicht. All diese unterschiedlichen Landschaftsformen demonstrieren die komplexe Geschichte und Entwicklung des Mars in einem einzigen Bild.