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Artikel Science: Klima der Arktis verletzlicher als gedacht.

News vom 07.08.2012

Mögliche Zusammenhänge  mit dem Verhalten des antarktischen Eisschildes

Veröffentlicht in:

Martin Melles, Julie Brigham-Grette, Pavel S. Minyuk,Norbert R. Nowaczyk, Volker Wennrich, Robert M. DeConto, Patricia M. Anderson, Andrei A. Andreev, Anthony Coletti, Timothy L. Cook, Eeva Haltia-Hovi, Maaret Kukkonen, Anatoli V. Lozhkin, Peter Rosén, Pavel Tarasov, Hendrik Vogel and Bernd Wagner 2.8 Million Years of Arctic Climate Change from Lake El’gygytgyn, NE Russia Science2012;337:315-320

[zu dem Artikel]

Pressetext:

In der Arktis sind während der vergangenen 2,8 Millionen Jahre in unregelmäßigen Abständen Warmzeiten aufgetreten, in denen bisher nicht für möglich gehaltene Temperaturen erreicht wurden. Der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht das Analyseergebnisse von dem längsten Sedimentkern, der jemals in Landgebieten der Arktis erbohrt wurde, die diese Woche in wurden. „Das Klima der Arktis ist demnach wesentlich verletzlicher als bisher angenommen wurde“, so die leitenden Wissenschaftler des Projektes Prof. Martin Melles von der Universität zu Köln, Deutschland, Prof. Julie Brigham-Grette von der Universität von Massachusetts in Amherst, USA, und Prof. Pavel Minyuk vom North-East Interdisciplinary Scientific Research Institute (NEISRI) in Magadan, Russland.

 

Lage des Elgygytgynsees im Norosten Russlands
Lage des Elgygytgynsees im Norosten Russlands


Die Erkenntnisse stammen von einem Sedimentkern, der 2009 im Rahmen einer aufwendigen Winterexpedition aus dem Elgygytgynsee im äußersten Nordosten Sibiriens erbohrt wurde. Der Elgygytgynsee wurde vor 3,6 Millionen Jahren gebildet, als ein Meteoriteneinschlag einen Krater von 18 km Durchmesser in die Erdkruste geschlagen hat. Seitdem nimmt er kontinuierlich, Jahr für Jahr, Sedimente auf. Außerdem ist der Meteorit ausgerechnet in einer der wenigen Regionen in der Arktis niedergegangen, die von den Vereisungen während der Kaltzeiten des Quartärs, des sogenannten „Eiszeitalters“, nicht erreicht wurden. Daher ist die mächtige Sedimentabfolge fast ungestört und lückenlos überliefert.“ Die Einzigartigkeit des Klimaarchivs wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass mit den Bohrkernen etwa 30 mal tiefer in die Erdgeschichte vorgestoßen wurde, als das mit den längsten Bohrkernen von der grönländischen Eiskappe der Fall ist.

Die Sedimentkerne aus dem Elgygytgynsee spiegeln die Klima- und Umweltgeschichte der Arktis mit großer Sensitivität wieder. Die physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften der Sedimente zeichnen die globalen Warm- und Kaltzeiten des Quartärs sehr deutlich nach. Dabei ist jedoch auffällig, dass einzelne Warmzeiten mit einer ungewöhnlich hohen Bioproduktion unregelmäßig aus dem ansonsten recht regelmäßigen Klimamuster herausstechen.

Um die daraus angedeuteten klimatischen Unterschiede zu quantifizieren, untersuchten die Wissenschaftler vier Warmzeiten im Detail: Die beiden jüngsten „normalen“ Warmzeiten, seit etwa 12.000 Jahren und vor 125.000 Jahren, und zwei der Warmzeiten mit erhöhter Bioproduktion vor etwa 400.000 und 1 Million Jahren. Auf Pollenuntersuchungen basierte Klimarekonstruktionen von Prof. Pavel Tarasov (Institut für Geologische Wissenschaften, FU Berlin) zeigten, dass während der „Super“-Warmzeiten die Sommertemperaturen etwa 4 bis 5 °C und die Jahresniederschläge etwa 300 mm höher waren als während der Maxima der beiden anderen Warmzeiten. Diese klimatischen Bedingungen haben nicht nur die Vegetation in der Arktis deutlich verändert, sondern dürften beispielsweise auch zum Abschmelzen von wesentlichen Teilen des grönländischen Eisschildes geführt haben.

Simulationen mit einem Klimamodell offenbaren, dass die hohen Temperaturen und Niederschläge der Super-Warmzeiten nicht alleine mit Veränderungen der Erdbahnparamter oder der Treibhausgaskonzentrationen erklärt werden können, die ansonsten die Glazial-Interglazial-Schwankungen im Quartär antreiben. Es muss also zusätzliche Klimaimpulse von Außen gegeben haben, die sich durch Wechselwirkungen im arktischen Klimasystem verstärkt haben.

Dafür sehen die Wissenschaftler den Schlüssel in der Antarktis. Dort sind große Abschmelzereignisse des westantarktischen Eisschildes aus einer Sedimentbohrung des ANDRILL-Projectes nachgewiesen, die zeitlich auffällig gut mit den Superwarmzeiten in der Arktis korrelieren. Es werden zwei mögliche Szenarien diskutiert, welche die polaren Wechselwirkungen erklären können aber noch mit weitergehenden Untersuchungen überprüft werden müssen. Erstens dürfte mit dem Eisrückgang in der Antarktis die Bildung einer Wassermasse zurückgegangen sein, die Heute bodennah bis in den Nordpazifik strömt und dort an die Oberfläche aufsteigt. Ist das damals ausgeblieben, dann müsste sich der nördliche Pazifik stark aufgeheizt haben, was mit einer Erwärmung der umliegenden Landgebiete einher gegangen sein könnte. Zweitens hat der Abbau des Eises in der Antarktis zu einem weltweiten Anstieg des Meeresspiegels geführt. Dadurch könnte mehr warmes Oberflächenwasser als Heute durch die Bering-Strasse zwischen Tschukotka und Alaska geströmt sein und den Arktischen Ozean aufgeheizt haben.

„Die beschriebenen Klimasprünge in der Arktis und die offensichtlichen Wechselwirkungen zwischen der Antarktis und der Arktis waren bisher nicht bekannt“, resümieren die leitenden Wissenschaftler. „Sie sind von großer Brisanz, unter anderem, weil es aktuell Anzeichen für einen raschen Eisabbau in der Westantarktis gibt, der sich in naher Zukunft noch verstärken könnte – vor diesem Hintergrund könnte die Vergangenheit der Schlüssel für die Zukunft sein“.

Das „El'gygytgyn Drilling Project“ wurde durch die folgenden Mittelgeber finanziert: Das „International Continental Scientific Drilling Program“ (ICDP), die „National Science Foundation“ (NSF) in den USA, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Alfred-Wegener-Institut (AWI) und das GeoForschungsZentrum (GFZ) in Deutschland, die „Russian Academy of Sciences Far East Branch“ (RAS-FEB) und die „Russian Foundation for Basic Research“ (RFBR) in Russland sowie das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF) in Österreich. Für die Auswertearbeiten wurden zusätzliche Mittel unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bereit gestellt.

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