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Prof. Dr. rer. nat. Siegfried Henkel

HENKEL

ehemaliger Mitarbeiter [1998 - 2012][†]

* 3.6.1931
† 14.5.1984

(von Bernard KREBS) Siegfried HENKEL wurde am 3. Juni 1931 in Dresden geboren. Er wuchs zusammen mit seiner Schwester im sächsischen Oschatz auf, wo sein Vater eine Musikalien-Handlung besaß. Das im besten Sinne bürgerliche Elternhaus hat seine Grundhaltung im Leben geprägt. Während der Schulzeit indessen weckte der Wechsel von der nationalsozialistischen zur kommunistischen Indoktrination sein Mißtrauen gegenüber Ideologien. Auch erkannte der Heranwachsende, wie aufrechte Menschen durch totalitäre Systeme bei deren schleichenden Machtergreifung mißbraucht werden. Da er nicht Arbeiterkind war, wurde ihm nach Schulabschluß ein Studium verwehrt; er absolvierte deshalb eine Lehre als Werkzeugmacher, eine Ausbildung, auf die er stolz war und die ihm später oft zugute kam. Nach der Lehrzeit durfte er ein Studium der Geologie an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin beginnen. Bald wurde ihm der ideologische Druck unerträglich, und er wechselte im Frühjahr 1952 an das kurz zuvor gegründete Geologisch-Paläontologische Institut der Freien Universität im Westteil der Stadt. Nun mußte er sich seinen Lebensunterhalt als Werkstudent verdienen, was für einen Ostflüchtling im Nachkriegs-Berlin ein hartes Los war. Unter anderem hat er, im Anschluß an ein Berufspraktikum, längere Zeit in einem Kohlenbergwerk im Ruhrgebiet gearbeitet. Auch dort sammelte er Erfahrungen, die für den Erfolg späterer Unternehmungen entscheidend waren.

Als Schüler von Max RICHTER befaßte sich Siegfried HENKEL in seiner Diplom-Arbeit mit einem Problem der Alpen-Geologie, das er in seiner Dissertation "Geologie des Rappenalpentales und des Gebietes um Lechleiten" (1960) wieder aufnahm. In seiner Interpretation des Allgäuer Hauptkammes vertrat er die Vorstellung einer"gebundenen Tektonik", das heißt eines komplizierten Schuppenbaus, was im Widerspruch zur damals vorherrschenden Meinung stand, im oberostalpinen Raum seien Ferndecken vorhanden.

Siegfried HENKEL hatte seine Zukunft in der geologischen Praxis gesehen, doch nahm sein Leben eine andere Wendung. Diese erlaubte ihm allerdings auch, seine Wunschvorstellung von Geländearbeiten in fernen Ländern in gewissem Umfang zu realisieren. Von 1959 an hatte er Gelegenheit, als Hilfsassistent den damaligen Lehrbeauftragten für Paläontologie, Walter Georg KÜHNE, bei der Prospektion nach mesozoischen Säugetieren zu. 1963 wurde W.G.KOHNE auf den neu gegründeten Lehrstuhl für Paläontologie berufen. Ihm wurden zwei Assistentenstellen zugesagt, von denen S.HENKEL die erste erhielt. Im Jahre 1964 heiratete Siegfried HENKEL die Diplom-Biologin Helga NORTHE.

Als Assistent war es seine erste Aufgabe, am Aufbau der neuen Institution mitzuwirken. Mit seiner praktischen Begabung und seinem Organisationstalent hat er maßgebend dazu beigetragen, im Haus an der Schwendenerstraße eine für die Untersuchung mesozoischer Kleintetrapoden vorbildlich ausgestattete Forschungsstätte zu schaffen. 1971 wurde Siegfried HENKEL zum Professor ernannt. Als akademischer Lehrer war er beliebt. Mit seinen Vorlesungen, in denen er beziehungsreich über die Grenzen des Faches wies, hat er manchen jungen Menschen für die Paläontologie gewonnen. Sein didaktisches Geschick kam auch im Gelände - bei Exkursionen und bei der Betreuung von Diplomanden - zur Geltung, wo er komplizierte Sachverhalte anschaulich zu erklären wußte.

S.HENKEL hat sich in der akademischen Selbstverwaltung engagiert; während zwei Amtsperioden war er Vorsitzender des Fachbereichsrates der Geowissenschaften. Seine früh geschärfte Skepsis gesellschaftlichen Doktrinen gegenüber, verhalf ihm, die extreme Politisierung dieses Gremiums abzubauen (es war die Zeit, in welcher sich der Fachbereichsrat mit Kriegen in anderen Erdteilen befaßte) und seine Tätigkeit auf die Lösung konkreter Hochschul-Probleme zu lenken.

Den größten Teil seiner Schaffenskraft hat S.HENKEL jedoch, im Zusammenhang mit der Suche nach Dokumenten zur frühen Stammesgeschichte der Säuger, der Erforschung von Lagerstätten mesozoischer Landwirbeltiere gewidmet. Sein Interesse galt der Klärung von biostratonomischen Vorgängen, die bei der Entstehung solcher Fossil-Anreicherungen ablaufen, sowie der Rekonstruktion der ökologischen Verhältnisse zur Ablagerungszeit.Erkannte Gesetzmäßigkeiten führten zur weiteren Einengung der gezielten Prospektion nach mesozoischen Säugetieren. Auf Methoden vonC.W.HIBBARD und Ideen von W.G.KOHNE aufbauend, hat S.HENKEL ein halbkontinuierliches Aufbereitungsverfahren entwickelt, mit welchem es möglich wurde, äußerst seltene, isolierte Reste kleiner Wirbeltiere in vergleichsweise kurzer Zeit aus großen Mengen von Lockersedimenten zu konzentrieren. Die dazu benötigten einfachen und leicht transportierbaren Gerätschaften erlaubten ihm, sein Verfahren an vielen säugetier-höffigen Punkten des circum-mediterranen Mesozoikums einzusetzen. Manche Lokalitäten haben allerdings nur Reste niederer Vertebraten geliefert. Aus Jura und Kreide der iberischen Halbinsel, wo am intensivsten prospektiert wurde, konnte an verschiedenen Fundstellen eine große Zahl von Säugetier-Zähnen mit dem "HENKEL-Verfahren" gewonnen werden. Als sich zeigte, daß nur vollständigere Skelett-Teile - wiesie z.6. in Braunkohlen-Ablagerungen erhalten sind - entscheidende Kenntnisse zur Phylogenie der frühen Mammalier erbringen können, entwarf S.HENKEL Arbeitsabläufe,um solche Reste zu gewinnen. Dieses Vorgehen wurde zunächst in den Braunkohlen von Uña (Prov.Cuenca, Spanien) angewandt, wo es in den Jahren 1968 und 1970 neben einer bemerkenswerten Amphibien- und Reptilien-Fauna vollständige Säugetier Kiefer mit ihrer Bezahnung lieferte. Hier hat sich S.HENKEL auch intensiv mit dem weitgehend unerforschten geologischen Rahmen auseinandergesetzt und festgestellt, daß die fossil-führenden Schichten nicht den übrigen Kohlenvorkommen der keltiberischen Ketten entsprechen, sondern dem Wealden zuzurechnen sind.

Unvergänglich wird HENKELS Name mit der Wirbeltier-Fundstelle Guimarota verbunden sein. Frühere Aufsammlungen in diesem Kohlenbergwerk bei Leiria in Portugal ließen noch kompletteres Skelett-Material von Säugetieren erwarten. Die Grube war bereits über ein Jahrzehnt geschlossen, als das Berliner Team den Entschluß faßte,dort systematisch zu arbeiten. Das Aufwältigen der mit Wasser gefüllten und zum Teil verstürzten Mine war ein außerordentliches Wagnis, welches in hohem Maße Bereitschaft, Risiken einzugehen und Verantwortung zu tragen, erforderte. Mit Zähigkeit und Ausdauer wurde der Abbau der oberjurassischen Kohle zu rein paläontologischen Zwecken von 1972 bis 1982 durchgehend betrieben. Dem Einsatz von Siegfried HENKEL verdanken wir die reichste Fauna kleiner Landwirbeltiere aus dem Jura. Sie enthält unter anderem über 1000 Kiefer, ein Dutzend Schädel und die beiden ersten bekannt gewordenen Skelette von jurassischen Säugetieren, eine bisher einmalige Dokumentation, die unser Bild der frühen Mammalier wesentlich verändert. S.HENKEL war dabei, eine umfassende Untersuchung der Stratigraphie, der Sedimentologie, der Paldkologie und der Taphonomie der Lokalität Guimarota durchzuführen. Leider konnte er dieses Werk nicht beenden.

Eine heimtückische Krankheit, die langsam von ihm Besitz ergriffen hatte, warf, schon längere Zeit bevor sie erkannt wurde, einen Schatten über seine Tätigkeiten. Ab Sommersemester 1983 war er krankheitshalber beurlaubt. Von einer schweren Operation hatte er sich scheinbar erholt; seine Gedanken galten bereits wieder künftigen Grabungsvorhaben. Doch führte ein erneutes Aufflackern der Krankheit zu einem unerwartet schnellen Ende. Siegfried HENKEL starb am 14. Mai 1984 in Berlin.

Siegfried HENKEL war ein Mann der Praxis. Er hat wenig publiziert. Er scheute die üffentlichkeit, hat nicht an Tagungen teilgenommen und war wenigen Fachkollegen persönlich bekannt. Dennoch hat er zur Erforschung kleiner Landwirbeltiere im Mesozoikum einen entscheidenden Beitrag geleistet, dessen volle Bedeutung sich erst in den kommenden Jahren mit der Auswertung der zahlreichen Daten und Funde offenbaren wird.

Siegfried Henkel war ein deutscher Wirbeltier-Paläontologe und bekannt für Forschungen über mesozoische Säugetiere. Er war Professor an der FU Berlin.

Henkel entwickelte Methoden zur Gewinnung kleiner Wirbeltierfossilien aus großen Sedimentmengen. Er leitete mit Bernard Krebs die Ausgrabungen in der reichhaltigen jurassischen Fossilienlagerstätte Guimarota in Portugal. Krebs benannte 1991 Henkelotherium, eine Gattung jurassischer Säugetiere, deren erstes Fossil Henkel 1976 entdeckt hatte, nach ihm.

  • Bernhard KrebsSiegfried Henkel 1931–1984. In: Paläontologie aktuell. Heft 10, Dezember 1984, ZDB-ID 986165-8, S. 18–19, (Digitalisat).
  • Bernard Krebs, Bernd Uchdorf (Hrsg.): Beiträge zur Paläontologie. Zum Gedenken an Siegfried Henkel (= Berliner geowissenschaftliche Abhandlungen. Reihe A: Geologie und Paläontologie. 60). Reimer, Berlin 1985, ISBN 3-496-00246-8, S. 1–4.