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15.1 Geothermalfeld El Tatio

Im Norden der „Región de Antofagasta“, etwa 95 km nordöstlich von San Pedro de Atacama und nahe der Grenze zu Bolivien, liegt das größte und bekannteste Geothermalfeld der südlichen Hemisphäre, das drittgrößte weltweit (Fernandez-Turiel et al., 2005). Von San Pedro aus führt eine lediglich auf den ersten 20 km asphaltierte Straße (Stand März 2009), die B-245, zu dem auf einer Höhe von 4321 m gelegenen Talkessel (Abb.15.1.1).

Abb.15.1.1: Das Geothermalfeld El Tatio, etwa 100 km nördlich von San Pedro de Atacama. Die chilenisch-bolivianische Grenze verläuft über den Andenhauptkamm am Horizont. Foto: B. Kallenberg

Das etwa 30 km2 große Gebiet umfasst eine Vielzahl von (85) Fumarolen und Solfataren, (62) heißen Quellen, (40) Geysiren, (5) Schlammvulkanen und weitläufige Sinterterrassen, gespeist durch den aktiven Vulkan „El Tatio“ (5208 m). Hier ist der geothermische Gradient mit 100°C/km doppelt so hoch wie im restlichen vulkanischen Bogen. Das Wasser erreicht mit Temperaturen von 78-85°C den Siedepunkt dieser Höhen (etwa 86,3°C). Kühlt das Wassers beim Austreten ab, kommt es zur (oft biogen vermittelten) Ausfällung von amorphen SiO2(Silica)und Kalk aus übersättigter Lösung. An zahlreichen Geysiren und Thermalquellen haben sich deshalb Terrassen oder Schlote aus Geyserit, ein Spritzwassergestein aus Chalcedon (mikrokristallinem SiO2mit wenig Wasser), Opal (amorphem wasserhaltigen SiO2 und Kalk gebildet.

Abb.15.1.2: An zahlreichen Geysiren und Thermalquellen bilden sich Ausfällungen aus Geyserit, bestehend aus Chalcedon, Opal und Kalzit Foto: B. Kallenberg

 

Fernandez-Turiel et al. (2005 )unterscheiden vier charakteristische Temperaturbereiche von Mikrobiota aus Archaeen, Cyanobakterien und Diatomeen. Diese Bioassoziationen verursachen die oft intensive Farbgebung in der Umgebung der heißen Quellen. (Abb.15.1.3); Archaeen und Cyanobakterien spielen hierbei eine dominante Rolle. Beide stammen entwicklungsgeschichtlich aus dem Archaikum; vor allem die Archaeen sind deshalb an extreme Bedingungen angepasst.

Wo die Wassertemperaturen randlich auf auf 30°C abgenommen haben, gedeihen photosynthese-treibende Cyanobakterien. Eine Kruste aus amorphen SiO2 schützt die Bakterien vor der intensiven UV-Strahlung und vor gelegentlicher Austrocknung (Phoenix und Kornhauser, 2008). Ein beeindruckendes Schauspiel, welches jedoch mit etwas Sicherheitsabstand beobachtet werden sollte, sind die Ausbrüche der aktiven Schlammvulkane, in welchem heißes Wasser Tone aus Vulkaniten gelöst hat (Abb.15.1.4).

 

Abb.15.1.3: Archaeen und Cyanobakterien verleihen den Wasserläufen eine intensive rot-orange und blau-grüne Färbung. Foto: C. Ullmann

 

Geologie und Hydrogeologie

El Tatio liegt im dem Altiplano-Puna-Vulkankomplex (APVC) im rezenten magmatischen Bogen. Vom späten Tertiär bis zum späten Miozän dominierte hier ein effusiver andesitischer Vulkanismus. Vom späten Miozän bis zum frühesten Pleistozän bestand der voluminöse Vulkanismus vorwiegend aus dazitischen Ignimbriten, gefolgt von andesitischen Stratovulkanen und Calderen im Pleistozän und Holozän. Das Gebiet um das Geothermalfeld ist zudem durch kompressive Deformation (13-1 Ma) und einfache Scherformation (jünger als 1 Ma) geprägt (Fernandez-Turiel et al., 2005). Der rezente Vulkanismus besteht aus zahlreichen eindrucksvollen brotlaibförmigen silikatischen Lavadomen, die auf der Anfahrt entlang der Straße und im Satellitenbild gut sichtbar sind. Alle vulkanischen und tektonischen Strukturen werden von glazialen und alluvialen Ablagerungen überprägt.

Abb.15.1.4: Aktive Schlammvulkane bieten ein beeindruckendes Naturschauspiel. Sie entstehen durch die Herauslösung von Ton aus dem Umgebungsgestein. Foto: C. Ullmann

 

Je nach Jahreszeit fördern die heißen Quellen von El Tatio zwischen 250 und 500 Liter Wasser pro Sekunde. Giggenbach (1978) zeigte durch geochemische und strukturelle Untersuchungen, dass das Wasser seinen Ursprung in einem etwa 12-20 Kilometer südöstlich gelegenen Gebiet hat und auf dem Weg zum Geothermalfeld im Laguna Colorado-Ignimbrit-Komplex erhitzt. Der Aquifer hat eine Temperatur von 265°C, obwohl er sich in einer Tiefe von nur 800 Metern unter der Oberfläche befindet (Fernandez-Turiel et al., 2005).

Seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts sind Anstrengungen im Gange, El Tatio wirtschaftlich zu nutzen. Eine Versuchsbohrung etwa vier Kilometer südlich des Geysirfeldes sollte technische Konzepte prüfen. DieEmpresa National de Geotermia(ENG) betreibt seit Februar 2009 wieder die vielfach unterbrochene Bohrung (Santiago Times, 2009). Sie soll bis Ende des Jahres 2009 abgeschlossen werden, so dass 2012 das erste Geothermiekraftwerk Chiles ans Netz gehen kann. Kritiker der Bohrung, darunter eine große Mehrheit der vom Tourismus abhängigen Lokalbevölkerung von San Pedro und Umgebung, befürchten, dass der Kraftwerksbetrieb das Geothermalfeld schwächen oder ganz zum Erliegen bringen könnte.

Das weitläufige Geothermalfeld ist nur in den frühen Morgenstunden von Touristen, die morgens zwischen drei und vier Uhr von San Pedro aufbrechen müssen, gut besucht. In der morgendlichen windstillen Kälte steigen die Dampfwolken deutlich höher, die Fumarolen schießen annähernd senkrecht in die Luft (und die Fremdenführer sind zum späten Frühstück wieder zuhause). Wer die Attraktionen dagegen lieber in Ruhe - oder, wie wir, gar in edler Einsamkeit - genießen möchte, dem sei gesagt, dass diese auch bei Tageslicht absolut sehenswert sind (und die Hinfahrt sicherer ist – bitte auf zurückrasende Touristenbusse achten).

Zum Zeitpunkt unseres Besuchs existierten im Geothermalfeld weder ein permanentes befestigtes Straßen- oder Wegenetz noch Absperrungen. Auch erläuternde Hinweise suchten wir vergeblich; das in San Pedro erhältliche Faltblatt ist rudimentär. Jedoch ist an der Schutzhütte eine detaillierte, systematisch beschriftete Satellitenbildkarte des Thermalfelds angeschlagen.  Exkursionsbusse und 4WD befahren die Terrassen offenbar mehr oder weniger nach Belieben; gelegentlich werden eingebrochene Wegsegmente aufgegeben und ohne Umstände neue Strecken eröffnet.

Nach dem Rückweg auf der gleichen, spektakulären Straße entlang der Vulkankette nach San Pedro und einem kurzen Stopp zum Beladen der Autos begannen wir die lange Rückweg über Calama nach Antofagasta.